
Vielleicht hat er das ein bisschen falsch dargestellt…
Rolf Dobelli, der sich als Autor zahlreicher Bücher ein Renomée als Lebensverbesserer geschaffen hat, rät zum radikalen News-Verzicht. Eine Replik.
Rolf Dobelli ist seit wenigen Jahren in den Medien omipräsent. Der studierte Philosoph und Wirtschaftsmann, bekannt etwa als Gründer von getAbstract, hat sich nach seiner Zeit in der Wirtschaft dem Bestreben verschrieben, seine Weisheiten und Erkenntnisse als Autor mit der Menschheit zu teilen. In «Die Kunst des klaren Denkens» etwa wollte er die Menschheit auf Denkfehler hinweisen.
Bei dieser Gelegenheit muss zur Klarstellung festgehalten werden, dass ich Dobellis Bücher nie gelesen habe oder Vorträge besucht habe. Ich vertraue in der Lebensoptimierung auf meinen eigenen kritischen Geist. Fernsehauftritte und Interviews des Luzerners verklemme ich mir aber nicht und lese oder höre mal rein. Und solche gibt’s derzeit wieder, was daran liegen mag, dass der Autor ein neues Buch am Start hat: «Die Kunst des digitalen Lebens – Wie Sie auf News verzichten und die Informationsflut meistern».
Tamedia etwa verrät Dobelli « Ich habe keine News-App, kein Zeitungsabo, höre kein Radio und habe keinen Fernseher.» Er konsumiere keine Medien und sei über nichts auf dem Laufenden. «Es ist einfacher, 100 Prozent clean zu sein als 98 Prozent. Ich möchte mein Hirn entlasten und es nicht jedes Mal vor die Frage stellen – soll ich? Oder soll ich nicht?» Und gegenüber dem Bayrischen Rundfunk salbadert er weiter: «Die News sind aus verschiedenen Gründen sehr gefährlich (…): News geben Ihnen die Illusion, Sie würden die Welt verstehen.» Ein anderes Problem sei, dass die Irrelevanz von Nachrichten hoch sei.
Man könnte ja nun Rolf Dobelli mit seinen eigenen Waffen schlagen und feststellen, dass seine Aussagen irrelevant sind. Ganz so einfach machen wir es uns hier aber nicht. Denn der Lebensstil, den Dobelli propagiert, ist verhängnisvoll. Es freut mich, wenn sich der Autor und Wirtschaftsmann so sehr verselbständigen konnte, dass er in keiner Art und Weise mehr von dem abhängig ist, was um ihn passiert. Es geht wohl aber nicht allen – oder nein, einem verschwindend kleinen Teil der Bevölkerung so.
Klar, ansatzweise kann man Dobelli Recht geben. Ob unser grosser Newskonsum uns effektiv weiterhilft, ist durchaus fraglich. Man kann dem Autor zustimmen, wenn er meint 80 Prozent der Faktoren lägen ausserhalb der politischen Arena und somit unseres Einflussbereichs. «Wenn die USA und China miteinander streiten, leiden wir darunter, können aber nichts dagegen tun.» Ob die Folgerung «Ich kann Trump nicht beeinflussen, also brauche ich keine Trump-News» für einen verantwortungsvollen Bürger aufgeht, darf aber bezweifelt werden.
Denn faktisch lobpreist er den Isolationismus, baut auf Egoismus und schwört in letzter Konsequenz dem ab, was sich die Menschheit in den letzten 200 Jahren errungen hat und woran sie auch gern noch weiter arbeiten darf: einer aufgeklärten Geisteshaltung. Nur wer weiss, was um ihn herum passiert, entwickelt ein Verständnis für Zusammenhänge. Nur wer seinen Geist herausfordert und über Fenster in die Welt – und das sind Medien – offen hält, ist fähig, richtige Entscheidungen zu treffen. Und nicht zuletzt macht er sich zum Werkzeug all jener, die etablierte Medien nur noch als Lügenpresse oder Fake News sehen. Das will der aufgeklärte Rolf Dobelli zwar bestimmt nicht, aber ich freue mich schon darauf, wenn Daniele Ganser ihn mit seiner Aussage zitiert: «Aus news-verseuchten Quellen soll man nicht trinken.»
Der Philosoph schlägt in diesen Aussagen eigentlich den Sack, obwohl er den Esel meint. Man könnte ihm hochgradige Medieninkompetenz unterstellen, wenn man seine Aussagen liest. Und kritisch hinterfragt, gibt er diesbezüglich tiefe Einblicke (und liefert damit ganz nebenbei den Beweis, wieso man Nachrichtenmedien eben doch konsumieren sollte): «Es bezeichnet eigentlich das Onlinegebaren, nicht die Printprodukte.» Oder: «Es sind nur diese Kurznachrichten-Geschichten, die daherkommen, als seien sie wichtig, als seien sie relevant.» Und mein persönlicher Liebling: «Vielleicht habe ich das ein bisschen falsch dargestellt in meinem Buch.» Also ist nicht der Sender der Inhalte das Problem, sondern die Unfähigkeit des Empfängers, mit diesen Inhalten umzugehen. Ich nehme an, Rolf Dobelli hatte vor 20 Jahren auch nicht jede Tageszeitung, die es auf der Welt gibt, abonniert und gelesen. In vielen Aussagen zeichnet der gerühmte kritische Geist ein Bild von sich, das von einem undifferenzierten Medienkonsum bestimmt ist. Es scheint, als müsse er alles konsumieren, was publiziert wird. Dass man da schnell einmal an seine Grenzen kommt, sich machtlos und unwissend fühlt, liegt auf der Hand.
Die Kunst eines aufgeklärten Geistes liegt darin, dass er die aufgenommenen Inhalte zu qualifizieren weiss. Entweder er bucht sie als irrelevant ab und stellt über kurz oder lang die aktiven Konsultation der Quelle ein (was ich beispielsweise mal mit «20 Minuten» und «Blick am Abend» getan habe). Oder er erkennt einen Mehrwert – sei es zur Steigerung seines Wissens, um seine Filterbubble zu verlassen oder allenfalls auch, sich zu bestätigen – und widmet sich mehr oder weniger regelmässig diesen Quellen.
Klar, es ist schwierig, dieses Verhalten zu etablieren, zu pflegen und den Verlockungen der schnellen, oberflächlichen News nicht zu verfallen. (Und in meinem Kopf gären diesbezüglich schon lange Gedanken für einen Blogpost. Ich warte quasi noch auf die Edelfäule.) Dem kategorischen Imperativ eines News-Dogmatikers zu folgen, ist aber bestimmt keine Lösung. Im Gegenteil: Ich bin überzeugt, dass man ein besseres Leben führt – und in diesem Ansinnen erscheinen alle Bücher von Dobelli – wenn man sich informiert und Nachrichten aufnimmt. Tut es bewusst und selektiv, neugierig, kritisch und wissensdurstig. Aber so oder so: Informiert euch und haltet euch aufgeklärt!
Das Tamedia-Interview gibts übrigens hier nachzulesen (wer ein Abo hat…), das für den Bayrischen Rundfunk hier.
Bild: Pixabay / mohamed Hassan