Die vierte Staatsgewalt schafft sich selbst ab
Die Frage steht seit längerem im Raum. SRF und vier Journalisten versuchten sie gestern zu beantworten und brachten es ebeso fertig wie andere zuvor. Oder ebensowenig. Eine Reflexion.
Verlegerpräsident Hanspeter Lebrument ist zwar dezidiert anderer Ansicht. Aber schon allein der Umstand, dass sie, die schwindende Qualität des Journalismus, seit einigen Jahren immer wieder in verschiedensten Facetten diskutiert wird, lässt auf das Gegenteil schliessen. Zumindest teilweise und ohne alle in den gleichen Topf zu werfen. Denn man muss der Branche zugutehalten, dass auch die Nutzungsbedingungen und die Art des Journalismus sich stark verändert haben. Nur, weil da der eine oder die andere nicht mehr mitkommt, muss das nicht einen Qualitätsverlust als Grund bedeuten. Gestern wurde im – neu lancierten – Medienclub von SRF die Frage in anderer Ausprägung und auf anderem Level wieder einmal aufgenommen: Haben die Medien als vierte Staatsgewalt versagt? Und einmal mehr spulen im Kopf eines einigermassen reflektierten Zeitgenossen einige Fragen. Eine Überlegung in fünf Thesen:
1. Medien haben weiterhin die Aufgabe, Relevantes von Irrelevantem zu triagieren. Das war und ist eine ihrer Hauptaufgaben. Nur, weil diese Aufgabe im 21. Jahrhundert wesentlich anspruchsvoller wurde, heisst das nicht, dass die Medien der Leserschaft diese Triagierung überlassen können. Oder in einem anderen Vergleich: Nur weil neben dem altbewährten Lebensmittelgeschäft vier neue, viel grössere eröffnet haben, bedeutet das nicht, dass man nun den täglichen Einkauf mit grösseren Taschen erledigen muss. Denn konsumieren kann man noch immer gleich viel. Alles andere wäre Völlerei; Informations-Völlerei. Und dann wird man träge.
2. Online-Journalismus ist eine dem direkten Werbe-Wettbewerb unterworfene Form des Journalismus. Ihr Ziel ist, möglichst hohen Traffic zu generieren. Je mehr Leute auf der Website sind und je länger sie dort sind, umso mehr Werbung lässt sich verkaufen. Zugunsten dieses Mechanismus, der ökonomisch wohl gerechtfertigt ist, aber ethisch bedenklich bleibt, bespielen die betreffenden Medien nicht Themen, sondern Begriffe, Schlagworte, Skandal-Trigger.
3. Die Informations-Triage vieler (online-)Medien findet nicht bei der Zahl der Meldungen an, sondern bei der Tiefe der Information. Wieso etwas ist, wie es ist, und was die Folgen sind, diese Fragen geraten gegenüber den vier anderen, plakativeren klassischen journalistischen W (wer, was, wo, wann) ins Hintertreffen. Denn sie generieren nicht die Klicks, welche die Werbung verlangt. In diesem Sinne hat Watson-Redaktorin Simone Meier Recht:
Normale Menschen sagen sich manchmal: «Du bisch nid relevant» (Pedro Lenz). Ein Journalist sagt sich das nie. Obwohl wir tatsächlich immer irrelevanter werden.
Daran sind die Journalisten selbst schuld. Journalisten und Medien machen sich irrelevant, weil sie eine ihrer Hauptaufgaben schändlich vernachlässigen. Würden sie noch Informationen beurteilen und abwägen und entsprechend dem selbstauferlegten Auftrag behandeln, wäre ihre Relevanz unbestritten. Nur indem sie genau das (nicht) tun, was alle anderen auch (nicht) können, machen sie sich selbst irrelevant. Weil nur noch wenige wirklich Journalisten sind, werden alle zu Journalisten.
4. Die Folge dieser Entwicklung ist eine Form von Empörungsjournalismus, der auf die reine Emotion abzielt und Zusammenhänge ignoriert. Empörung war schon immer ein adäquates Mittel des Journalismus. Denn sie garantiert Aufmerksamkeit – zuletzt am Beispiel Lukas Bärfuss wunderbar veranschaulicht. Das Problem ist, dass dieser Empörung keine Reflexion mehr gegenübertritt. Weil die Zeit für sie nicht da ist, da bereits die nächste empörende Information aus den Medien auf uns niederprasselt. Oder weil man einfach nicht reflektieren kann oder will. Weil es so schön bequem ist.
5. So züchtet der Empörungsjournalismus den Wutbürger, der letztlich in seiner Unfähigkeit zum Nachdenken (Eine Unfähigkeit, die er schon immer hatte, die aber die Arbeit der Medien auffangen konnte) über jeden – vermeintlichen oder tatsächlichen – Missstand herzieht und alles und alle verurteilt. Keiner traut mehr keinem und schon gar nicht mehr den Informationen, die er erhält. Der Wutbürger misstraut allem und lässt sich vorzüglich manipulieren. Gegen den Staat, die linke Mehrheit (wo soll es die denn jemals gegeben haben?), das Establishment und überhaupt alles. Veranschaulicht in schönen Zahlen, welche Peter Röthlisberger, Chefredaktor von «Blick am Abend» in besagtem Medienclub in Zahlen fasste (wiederum zitiert von Simone Meier):
Der Mann vom «Blick» erzählt von einem «Roboter» (mein Chef nennt das «Arschlochsoftware»), der nach Stichworten dreissig Prozent der Kommentare aussondert, und von übrig gebliebenen würden nochmals fünfzig Prozent von echten Menschen als nicht zulässig befunden.
65 Prozent Müll provozieren die mit meistbeachteten journalistischen Beiträge also. Und dabei soll es um die Qualität und die Verantwortung des Journalismus nicht schlecht stehen..?
Hier geht’s zum Medienclub von SRF: und hier zum zitierten Watson-Artikel: