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Machen zwei Augen und ein Smartphone einen Journalisten?

Ist jeder, der fotografieren kann, auch gleich ein Reporter? Oder bleibt er bei allem Mitteilungsbedürfnis halt doch nur ein Augenzeuge?

Heute Morgen zeigt sich einmal wieder, mit welcher Geschwindigkeit bei den Newsportalen gearbeitet wird und wie man sich in diesem Druck der Informationen bedient. Im Lauterbrunnental ist ein Helikopter abgestürzt. Schon bald vermeldet der «Blick» online das Ereignis: «Mehrere Blick-Leserreporter berichten von einem Helikopter-Absturz in Lauterbrunnen».

Bei «20 Minuten» hat man – obwohl das Portal den Status Leserreporter erst zu dem gemacht hat, was er heute zu sein meint – das Ereignis offenbar verschlafen oder im Lauterbrunnental gibt es keine «20 Minuten»-Leser, denn das Ereignis sei «laut Lesermeldungen der ‹Berner Zeitung›» passiert.

Die «seriösen Medien» – um sie mal so zu nennen – kommen da ihrer journalistischen Sorgfaltspflicht schon näher. Die eben zitierte «Berner Zeitung» schreibt selbst:

«Auf dem Gemeindegebiet von Lauterbrunnen ist am Dienstagmorgen ein Helikopter abgestürzt. Die Kantonspolizei Bern hat entsprechende Lesermeldungen gegenüber Bernerzeitung.ch/Newsnet bestätigt.»

Und gewohnt tief hält die NZZ das Ereignis. Die «alte Tante» macht Smartphone-Fotos wohl nur zum Thema, wenn Bundesangestellte in ihrem Büro in Bern anzügliche Bildchen machen. Nicht nur, dass man den heutigen Heli-Absturz auf der Website erst sehr weit unten findet, die Redaktion meldet auch nur:

«Die Kantonspolizei Bern bestätigte um 10 Uhr entsprechende Meldungen über den Absturz auf Online-Portalen.

Soweit eine kleine Einstimmung aus Anlass des aktuellen Falls, der mich kurz sinnieren liess. Hier geht’s nicht darum, ob es «die Leute auf der Strasse» braucht, damit der Journalist seinen Job machen kann. Nein, das war schon immer so und muss auch so bleiben. Früher war es einfach nicht der Leser, der selbst gleich ein Bild schoss und «live» Infos lieferte. Das ist lediglich die logische Konsequenz aus der Schnelllebigkeit und Geschwindigkeit, welche das Internet über den Journalismus bestimmen liess. Und es war auch nicht der Whistleblower. Früher, als Journalismus gedruckt und per Radio und Fernsehen gesendet wurde, war es der Freund auf dem Wochenendmarkt, der Kollege beim Feierabendbier oder – allenfalls sogar anonyme – Hinweise aus der Bevölkerung, die per Telefon oder Brief in die Redaktionsstuben gelangten.

Die Frage ist: Welche Position gibt man diesen Leuten? Und was bedeutet das für einen selbst? Dass die Leser wichtig für viele Aspekte der journalistischen Arbeit – gerade im Fall von «Unglück und Verbrechen» oder, wie man heute sagt «BBB» (Blut, Busen, Büsi) – sind, ist klar. Doch muss man Ihnen gleich den Status des Reporters geben? Man gibt Ihnen damit ungefragt das Prädikat eines Medienschaffenden, das sie sich nicht verdient haben. Viele haben keine Ahnung, worauf zu achten wäre und ein Gatekeeper innerhalb der Redaktion sollte (und tut es meist auch) triagieren. Dennoch: die Redaktion gibt Verantwortung ab. Immer öfter, besonders in diesem Fall, macht der Leser selbst seine Nachrichten. Und zu oft liegt die Ermessensgrenze, ob etwas journalistisch relevant ist, oder nicht, wesentlich tiefer, wenn schon mal ein paar Basisinfos und vor allem Bilder vorhanden sind. Ist es zum Beispiel wichtig, dass und wo Michelle Huziker in ihren Strandferien ihr Baby stillt?

Der «Leserreporter» soll die Leute auf der Strasse näher ans Medium binden. Klar: Kriegen sie im Medium eine Rolle, identifizieren sie sich mit ihr. Und dann verbreiten sie in ihrem Bekanntenkreis und via Social Media auch den Beitrag, zu welchem sie etwas beigesteuert haben. Und beim Medium klingelt ob all der geschalteten Werbung die Kasse.

Noch schlimmer aber ist ein Aspekt: Dadurch, dass die Redaktion den Leser zum Journalisten macht, untergräbt sie die Arbeit, die Funktion und damit die Bedeutung jedes Journalisten. Denn wenn jedermann Reporter sein kann, ist ein Journalist auch jedermann. Und somit ist die Gilde irgendwie für den Verfall des Images ihres Berufsstandes ein wenig mitverantwortlich. Der Gegenbeweis ist schnell erbracht: Nur, wer sich explizit qualitativen Journalismus auf die Fahne geschrieben hat, pflegt keinen Stamm an Leserreportern, sondern beruft sich – zurückhaltend – auf «Augenzeugen». Denn sehen und hören sollen und dürfen – ja müssen – alle. Relevant verarbeiten, das kann nur der Journalist.

Augenzeuge, Boulevard, Leserreporter

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